Bis Ende 2007 sollen laut Plan der EU-Kommission die bilateralen Freihandelsabkommen mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik stehen – dies, obwohl sämtliche Studien vor den negativen Folgen warnen. Eine Analyse von Annette Groth.
Es ist schon sehr eigenartig, dass eines der bedeutendsten EU-Strategie-Papiere in der europäischen Öffentlichkeit kaum thematisiert wird: Das Cotonou-Abkommen, im Jahr 2000 verabschiedet. Es löst die bisherigen Lomé-Abkommen ab, die den 78 AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) Handelspräferenzen für ihre Exporte auf dem europäischen Markt einräumten. Mit dem im April 2003 ratifizierten Cotonou-Abkommen entfallen diese Handelspräferenzen. Das ist ein entscheidender Paradigmenwechsel: von Präferenzabkommen zugunsten ehemaliger Kolonien der europäischen Mächte, die zumindest partiell einen Ausgleich für die wirtschaftliche Benachteiligung schufen, hin zu Freihandelsabkommen zwischen ungleich starken Partnern.
Im Rahmen von Cotonou verhandelt die EU seit 2003 mit sechs AKP-Regionen über so genannte „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“ (Economic Partnership Agreements, EPAs) die nach Plan der EU-Kommission bis Ende 2007 stehen sollen. Umgesetzt sollen die EPAs zwischen 2008 und 2020 werden. Die EU drängt dabei auf die Liberalisierung der umstrittenen Bereiche Investitionen, Wettbewerb und öffentliches Beschaffungswesen. Sie will somit bilateral durchsetzen, was multilateral im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO gescheitert ist.
Gegen diese „Partnerschaftsabkommen“ regt sich zunehmend Widerstand, nicht nur von der Zivilgesellschaft, sondern auch von vielen RegierungsvertreterInnen aus den AKP-Staaten. Alle Studien, die die möglichen Auswirkungen der EPAs auf die AKP-Staaten untersucht haben, warnen vor den absehbaren negativen Folgen. Neben der Gefährdung der Ernährungssicherheit könnten die EPAs auch die De-Industrialisierung und den Zusammenbruch ganzer lokaler und nationaler Produktionszweige zur Folge haben. Eine UNCTAD-Studie (2004) über die Auswirkungen von Handelsliberalisierung in 40 Staaten zeigt, dass die Hälfte dieser Länder als Resultat eine De-Industrialisierung aufweist. Dies bedeutet größere Arbeitslosigkeit und zunehmende Armut.
Von den wachsenden Protesten gegen die EPAs zeigt sich die EU bislang wenig beeindruckt. Im Gegenteil, im April 2005 ließ EU-Handelskommissar Peter Mandelson in Mali verlautbaren, dass die AKP-Staaten nur dann einen „verbesserten“ Zugang zu den EU-Märkten erhalten, wenn sie ihre Märkte öffnen und über die EPAs verhandeln. Ein konkretes Druckmittel hat die EU auch mit den Finanzhilfen aus dem zehnten Europäischen Entwicklungsfonds in der Hand. Wenn die EPAs bis Ende 2007 nicht unterzeichnet sind, könnte sie deren Auszahlung hinauszögern. Dieses finanzielle Druckmittel ist ein wesentlicher Grund dafür, warum die AKP-Staaten überhaupt noch weiter verhandeln und nicht einfach aussteigen, wie es viele aus der Zivilgesellschaft fordern. „Wenn wir die EPAs verweigern, riskieren wir den Verlust der EU-Hilfen und den privilegierten Marktzugang“, ließ das AKP-Sekretariat schon 2005 verlautbaren.
Soziale Bewegungen aus den AKP-Staaten und Europa haben im März 2006 einen „Weltweiten Aufruf zum Stopp der EPAs” lanciert. In diesem Aufruf werden zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften und Kirchen in den AKP-Staaten und in Europa aufgefordert, die StopEPA-Kampagne zu unterstützen und die europäische Entwicklungspolitik in Bezug auf die AKP-Staaten kritisch zu hinterfragen. Bislang zeigte dieser Aufruf wenig Resonanz. Auf dem WSF bildeten die EPAs daher einen Schwerpunkt in der Hoffnung, eine weltweite Mobilisierung dagegen voranzutreiben.
Wünschenswert ist auch, dass der im Juli veröffentlichte Bericht einer Delegation des Europa-Ausschusses der Französischen Nationalversammlung mit der Kampagne mehr Aufmerksamkeit erhält, stellt er doch eine vernichtende Kritik an der EU-Kommission dar. Der Bericht spricht von einem vierfachen Schock, dem die AKP-Staaten ausgesetzt sind, wenn sie die EPAs annehmen: Einem Haushaltsschock aufgrund der zu erwartenden Einnahmeverluste wegen der wegfallenden Importzölle. Einem Handelsbilanzschock durch die Auswirkungen von EPAs auf Preisbildung, Einkommen und Wechselkurse. Einem industriellen Schock, da schwache, im Aufbau befindliche Industriesektoren in den AKP-Staaten der verstärkten Konkurrenz aus der EU nicht gewachsen sind. Und einem landwirtschaftlichen Schock für die agrarisch ausgerichtete Mehrheit der AKP-Staaten, da lokale Märkte und ProduzentInnen mit den Billigimporten, sprich mit den hoch subventionierten Agrarprodukten aus der EU, nicht konkurrieren können.
Laut dem Bericht begeht „Europa einen politischen, taktischen, ökonomischen und geostrategischen Fehler, wenn die Kommission auf ihrem Fahrplan beharrt“ und die Verhandlungen über die EPAs gegen allen Protest der AKP-Staaten bis Ende 2007 abschließen will. „Das zentrale Ziel der Partnerschaft, nämlich Reduzierung der Armut und wenn möglich die Beseitigung der Armut entsprechend Artikel 1 des Cotonou-Abkommens, muss wieder Vorrang erhalten“, lautet daher der dringende Appell der französischen Parlamentsdelegation.
So scharf die Kritik, so radikal die Empfehlung des Berichts: Es sei „absolut notwendig“, der EU-Kommission das bisherige Mandat zu entziehen und es durch ein neues zu ersetzen. Bislang ist diese Forderung weder in den EU-Mitgliedsstaaten noch vom Europäischen Parlament diskutiert worden. Das sollte sich ändern.
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